Zeitraffer 2007-2009

2007
In den 40 Wochen in denen ich in Mamas Bauch wohnen durfte habe ich mich pudelwohl gefühlt. Ich hatte es überhaupt nicht eilig, mein „zu Hause“ zu verlassen. Irgendwann Ende der 41 Woche war es aber dann doch so weit. Ich bin am 11. Februar 2007 um 19:36 geboren. Die Geburt verlief recht rasch. Mama hat nachher erzählt, dass es für sie gar nicht so einfach war – ich hatte nämlich 4170 Gramm Körpergewicht. Alles schien unauffällig – ja einfach perfekt.

Am dritten Tag wurde bei mir ein routinemäßiger Bilirubin-Wert ermittelt. Und da ich einen hohen Gelbsuchtwert hatte, wurde ich ins Krankenhaus Oberwart überstellt. Die hatten eine entsprechende Kinderstation – wo ich dann eine Phototherapie erhielt.

Das war eine Aufregung für uns alle! – aber es sollte leider nur der Anfang sein.

Zuerst ging es mir recht gut, doch am 5. Lebenstag fiel auf, dass ich plötzlich so komisch ruhig war. Der Grund dafür wurde kurz darauf mittels Ultraschall festgestellt: ich hatte eine starke Gehirnblutung.

Danach ging alles ganz schnell. Es wurde das LKH Graz informiert – die haben einen Nothubschrauber geschickt. Mama und Papa sind mit dem Auto nach Graz gefahren. Die Notoperation dauerte viel länger, als uns der Notarzt vorher ankündigte. Was nämlich keiner bis dahin wusste: ich habe Hämophilie B - bin Bluter.

Dank der tollen Ärzte im LKH Graz habe ich es dennoch geschafft. Es hieß, es war sehr knapp und man muss die nächsten Tage abwarten. Mein Zustand war sehr kritisch - sogar eine Nottaufe wurde meinen Eltern vorgeschlagen. Doch Mama und Papa haben geglaubt an mich, gebangt, gehofft. Sie waren jeden Tag auf der Intensivstation und haben mir aus alten Märchenbüchern vorgelesen. Und ich bin daneben gelegen und habe gekämpft. Nach sieben Tagen ist mein Gehirndruck unerwartet von selbst weniger geworden, die künstliche Beatmung wurde weggenommen und ich konnte wieder selbst atmen. Mama und Papa waren heilfroh! Es wurde meinen Eltern jedoch gesagt, dass meine Gehirnschädigung sehr groß ist, ich Epilepsie habe und sie mit einer schweren Behinderung rechnen müssen.

Ich war knappe 6 Wochen im Spital als ich endlich nach Hause konnte. Kurz danach bin ich mit Mama für vier Wochen zur Frührehabilitation nach Deutschland, Vogtareuth (Bayern) gefahren. Das war für unsere ganze Familie eine sehr schwere Zeit– aber es waren vier sehr wichtige Wochen für mich. Ich bin damals nur gelegen – habe mich kaum bewegt und ganz selten habe ich meine Augen geöffnet. Ich habe viel geweint, denn mir war das alles einfach zu viel. Noch dazu wurde meinen Eltern gesagt, dass meine Sehnerven stark geschädigt wurden, und ich nahezu blind bin.

Nachdem wir wieder zu Hause waren, stand nochmals eine Operation an. Weil ich Hämophilie B habe, und somit einen sehr niedrigen Blutgerinnungswert, bekomme ich zweimal die Woche einen Faktor gespritzt. Ich fand es überhaupt nicht lustig, zweimal die Woche in die Venen gestochen zu werden. Deshalb wurde mir im Mai 2007 im LKH Graz ein Port-a-Cath implantiert. Das ist eine Kammer, die unter der Haut liegt und einen direkten Venenzugang hat. Zuerst wurde mir der Gerinnungsfaktor immer im Spital gegeben. Damit Mama und Papa nicht immer ins KH Oberwart oder zur Frau Dr. Wolfram fahren mussten, hat die Frau Doktor Wolfram meiner Mama gelernt, wie das geht. Jetzt bekomme ich immer von Mama oder Papa den Gerinnungsfaktor zu Hause gespritzt. Das ist für uns alle viel einfacher.

Das restliche Jahr 2007 verlief ohne Schwierigkeiten. Ich habe schon recht bald wöchentlich über „Rettet das Kind“ Besuch von meiner Frühförderin und einer Physiotherapeutin bekommen. Ich war zwar noch immer nicht sehr aktiv, aber mittlerweile sehr ausgeglichen. Und meine Eltern waren ganz stolz auf mich, als ich mit sechs Monaten endlich mit meiner linken Hand nach der Rassel gegriffen habe.


2008 

Seit März 2008 hatte ich dann auch eine Sehfrühförderin. Alle 14 Tage kommt vom Verein Contrast Frau Dienstl zu mir. Die Therapie hat mir von Anfang an Freude gemacht. Vor allem der Lichtschlauch hat mich gleich fasziniert. Zu diesem Zeitpunkt (da war ich ein gutes Jahr alt) habe ich angefangen, mit vom Rücken auf den Bauch zu drehen. Das war das erste Mal, dass ich meine Lage selbst verändern konnte. Und so wurde die Bauchlage meine Lieblingsposition.

Sitzen konnte ich immer noch nicht selbst, deshalb haben meine Eltern für mich eine Sitzschale beantragt. Damit ist mir das Essen etwas leichter gefallen. Weil ich nicht Kauen kann, püriert mir Mama mein Essen immer.

Im Mai 2008 war ich nochmals vier Wochen in Vogtareuth auf Rehab. Diesmal war ich schon viel wacher und konnte auch einiges dazu lernen. Und auch für die Mama war die Zeit einfacher zu bewältigen als beim ersten Mal.

Im Herbst 2008 bekam ich meinen Buggy den „Kimba Spring“ von Otto Bock. Damit kann ich super sitzen und muss nicht immer liegend spazieren gefahren werden. Zur selben Zeit versuchten wir ein neues Epi Medikament, weil ich immer sehr ruhig und verschlafen wirkte. Ich bekam Keppra und das Topamax wurde langsam reduziert. Den Unterschied bemerkten wir sehr rasch – denn ich wurde immer interessierter an meiner Umwelt.

Im September 2008 haben meine Eltern zufällig an einem Elternabend von der „basalen Stimulation“ erfahren und sind neugierig geworden. Seit diesem Zeitpunkt bin ich dann regelmäßig (meistens mit Mama) zu dieser Therapie gefahren. Mama und Papa sind davon überzeugt, dass sich dadurch meine Eigenwahrnehmung sehr gebessert hat. Und mir tut es sichtbar gut.


2009      

Im Februar 2009 war ich das erste Mal in Bad Radkersburg auf Rehab. Die dauert immer nur 14 Tage und am Wochenende kann Papa auch bei uns übernachten. Das gefällt mir sehr gut. Es wird bei Kids Chance sehr viel gesungen. Und das allein motivierte mich schon bei den Übungen mitzumachen und ich möchte auf jeden Fall wiederkommen! In Bad Radkersburg habe ich gelernt, zu rollen. Und kurz darauf eroberte ich zu Hause wie im Sturm Wohnzimmer und Küche. Ich drehte, rollte - rollte, drehte. Das ist bis heute meine Fortbewegung. Und meine Eltern platzten fast vor Freude. War es doch bis dahin immer so, dass ich mich nicht vom Fleck gerührt habe.

Zur selben Zeit hatte ich jedoch beim Einschlafen immer wieder Zuckungen/Myoklonien. Das Medikament Keppra wurde dann weiter erhöht in der Hoffnung, dass es mir besser gehen würde. Im September 2009 durfte ich nochmals für 14 Tage nach Bad Radkersburg. Ich übte wieder viele neue Sachen. Und durfte auch ins Wasser, weil ich ausnahmsweise nicht verkühlt war.

Im August 2009 wurde bei mir das erste Mal ein Langzeit EEG aufgezeichnet. Da hat man im AKH Wien entdeckt, dass ich Nachts öfters Anfälle habe. Ich schlafe meistens ganz problemlos ein – und schlafe auch (bis auf ein paar Ausnahmen) seit meinem 6 Lebensmonat die ganze Nacht durch. Deshalb sind diese nächtlichen Anfälle bis zu diesem Zeitpunkt nie aufgefallen.

Meine kurzen EEGs waren, meiner Schädigung entsprechend, nicht sonderlich bedenklich. Somit war nun leider klar, dass die Medikamente, die ich bis jetzt nahm, mir nicht richtig helfen. Mama und Papa hatten ab diesem Zeitpunkt schon das Gefühl, dass das ein langer Weg werden wird. Und auch das Essen wurde nicht besser. Essen wollte ich eigentlich nie wirklich gerne. Aber seit Mitte des Jahres wehrte ich mich richtig, wenn ich etwas Essen „musste“. Deshalb wurde im LKH Graz eine Gastroskopie und ein Schluckröntgen gemacht. Das war echt anstrengend für mich! Heraus gekommen ist nicht wirklich viel. Ich habe scheinbar eine Magenentleerungsstörung. Jetzt weiß ich auch, warum es in meinem Bauch immer so schwabbelt und ich immer voll bin.